Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Hier wird das Problem des zunehmend mangelhaften Schutzes der Bürger vor Gewalttaten und dessen verfassungsrechtliche Relevanz erörtert. (Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG)

Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon AlexRE » Fr 11. Mär 2011, 14:02

Notfalls müssten Gefangene, die nicht ordentlich untergebracht werden können, freigelassen werden:

Anlass ist die Beschwerde eines 27-jährigen Häftlings aus Nordrhein-Westfalen. Der drogenabhängige Mann war in Köln-Ossendorf und Hagen insgesamt 151 Tage lang mit wechselnden Mitgefangenen in jeweils acht Quadratmeter großen Zellen untergebracht. Die meiste Zeit war er 23 Stunden am Tag in der Zelle eingeschlossen. Die Toilette war nur durch eine Sichtschutzwand abgetrennt, ohne getrennte Belüftung. Seine Zellengenossen seien starke Raucher gewesen, nur zweimal pro Woche durften die Gefangenen duschen. Anträge auf Verlegung in eine Einzelzelle blieben ohne Erfolg.

Deshalb forderte der Mann Geldentschädigung vom Land Nordrhein-Westfalen. Sein Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde jedoch abgelehnt - eine Klage auf Entschädigung habe keine Aussicht auf Erfolg. Dem widersprach nun das Bundesverfassungsgericht.


Quelle: justiz.nrw.de

BVerfG

Jetzt werden sich natürlich wieder viele von der deutschen "Weichei - Justiz" ohnehin schon vergrätzte Leute aufregen.

Menschen sind aber unterschiedlich empfindlich gegen solche ekelerregenden Bedingungen und eine andere Strafe als Freiheitsentzug ist nicht ausgeurteilt worden. Die wäre auch nicht verfassungskonform. Da muss man schon anders Druck gegen die Kriminellen machen, z. B. null Bewährung für Gewalttäter, Führerschein weg, niedrige Pfändungsfreibeträge bis hin zum Zugriff von Opfern auf Sozialleistungen und und und... aber hungern lassen oder gegen ihren Willen in Qualmhöhlen stecken und sie jeden Tag zum Kotzen (das Herbeiführen von Übelkeit bis zum Erbrechen ist eine tatbestandliche Körperverletzung) bringen geht eben nicht, da könnte man ebensogut das Zusammenschlagen durch Vollzugspersonal erlauben.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon DJ_rainbow » Fr 11. Mär 2011, 14:08

Ist ja alles richtig - nur wird es auf dem Rücken tatsächlicher und potentieller Opfer ausgetragen, wenn Schwerstkriminelle wegen sowas freigelassen werden. Wenn die dann alle in Karlsruhe oder Straßburg angesiedelt würden, wäre mir das ja egal - aber es geht wie immer zu Lasten derjenigen, die den Irrsinn bezahlen.
In der Demokratie mästen sich Sozialisten in Parlamenten. Im Sozialismus hungern Demokraten in Zuchthäusern und Arbeitslagern.

Modi bei http://www.radio-xtream.de

Bild
DJ_rainbow
Administrator
 
Beiträge: 767
Registriert: Di 16. Dez 2008, 21:28

Re: Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon GasGerd » Fr 11. Mär 2011, 18:33

Benutzeravatar
GasGerd
 
Beiträge: 674
Registriert: Fr 18. Feb 2011, 18:33

Re: Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon AlexRE » Sa 12. Mär 2011, 12:12



Ich habe gerade mal geguckt, dass ohne das allergeringste "pushen" ein thread eines Teilnehmers in die top ten von web.de / gmx kommt, zeugt wirklich von einer erheblichen Bedeutung des Themas für sehr viele Menschen.

Mich erinnern die threads zu Verbrechen bzw. Verbrechern und deren Opfern immer an den Überraschungserfolg der monothematischen Schill - Partei bei der ersten Wahl nach ihrer Gründung. Das war mitten in einer wirtschaftlichen Aufschwungphase, der nachlässige Umgang der Hamburger Justiz und Polizei mit der Sicherheit der Bürger hat also ganz allein 20 % der Wähler zur Wahl einer neugegründeten Partei veranlasst. Unsere Politiker bilden sich aber anscheinend immer noch ein, dass sie jede Missstimmung mit Geld bzw. wirtschaftspolitischen Themen beseitigen können. Es ist wirklich pures unverdientes Glück unserer politischen Klasse, dass sich in Deutschland solche Typen wie Schill - bis jetzt - noch immer selbst ein Bein gestellt haben.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon GasGerd » Sa 12. Mär 2011, 21:08

Ich habe mir auf gmx mal den kleinen Hinweis erlaubt, dass man den Strafvollzug vielleicht teilweise ins Ausland verlagern könnte (war nicht ganz ernst gemeint):

decipalitus

"Ein Großteil dieser Probleme in Deutschland wäre sicher schon gelöst, wenn die Bundesregierung mit den Herkunftsländern Verträge abschließen würde um ausländische Straftäter in ihren Heimatländern zu inhaftieren !

Laut Mitarbeitern der JVA Butzbach sind dort 8 von 10 Inhaftierten Nichtdeutsche !"

Ich halte es sogar für denkbar und nicht zwingend verfassungswidrig, deutsche Strafgefangene im Ausland unterzubringen, wenn das wesentlich billiger ist als hier. Natürlich unter strikter Wahrung der Grund- und Menschenrechte nach deutschem Standard, was in dem entsprechenden Vertrag mit dem anderen Staat präzise fixiert werden müsste.

Es sind auch tatsächlich schon einmal deutsche straffällige Jugendliche aus erzieherischen Gründen in einem russischen Lager (Sibirien) untergebracht worden. Das hatte natürlich keine Ähnlichkeit mit einem stalinistischen Gulag, eher mit einem Abenteuerurlaubscamp.

Übrigens gilt die heutige Lagerhaft in Russland als Straferleichterung, in den Gefängnissen ist es dort nämlich noch viel übler als in dem Fall, den das BVerfG hier als Verletzung der Menschenwürde dargestellt hat. In den heute üblichen Lagern dagegen kann man ganz gut leben, wenn auch unter spartanischen Bedingungen. Ein Bretterverschlag mit "Plumpsklo" ist immer noch wesentlich angenehmer als Ein Kübel - Abort in einer total überbelegten Zelle.

Da Russland die europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben hat, dürften Moskau auch irgendwann Ärger mit dem EuGHMR bekommen - aber wegen der Gefängnisse, nicht wegen der Lager.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post/11467049?sp=231#jump

Das hat natürlich jemand zum Anlass für scharfen Widerspruch genommen, auf den ich dann so geantwortet habe:

NH279

"Genau das ist ja der Punkt.
Warum sollen WIR den Russen noch mehr Geld in den Arsch schieben als uns und die kriminellen Ausländer selbst kosten???

Entschuldige bitte, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten, aber so ganz scheinst du nicht in der Spur zu sein! :-("

Einer von uns beiden ist sicher etwas neben der Spur. Dass ich das bin, ist unter den Teilnehmern, die das Forum hier gut kennen, aber ganz bestimmt nicht mehrheitsfähig.

Wenn der Exportgigant Deutschland mit seinen riesigen Devisenüberschüssen öffentliche Kosten ins billigere Ausland outsourcen kann, ist das immer ein gutes Geschäft.

Außerdem gibt es Straftäter, die gar nicht in ein europäisches Gefängnis wollen, warum auch immer:

"Amine A., der mit seinem 500er Mercedes in Mülheim den Rentner Johann K. totfuhr, muss sich in Kürze vor Richter Dr. Wolfgang Hilgert verantworten. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Fahrerflucht (Az. 617 LS 25/08).

Doch der mutmaßliche Täter fühlt sich offenbar obenauf. Zu seiner Bewährungshelferin sagte er jetzt: „Ich gehe in Europa in keinen Knast. Bevor ich das mache, werde ich mich wehren. Diejenigen, die das machen, müssen dran glauben. Das soll man auch dem Herrn Dr. Hilgert ausrichten.“"

http://www.express.de/regional/koeln/-wer-mich-in-den-knast-steckt--muss-dran-glauben-/-/2856/664554/-/index.html

Wenn der Typ unbedingt außerhalb Europas brummen will, sollte man ihm doch den Gefallen tun (Sibirien = Asien), damit er den Richter nicht ermorden muss.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post/11467049?sp=252#jump
Benutzeravatar
GasGerd
 
Beiträge: 674
Registriert: Fr 18. Feb 2011, 18:33

Re: Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon AlexRE » So 13. Mär 2011, 13:17

GasGerd hat geschrieben:"Amine A., der mit seinem 500er Mercedes in Mülheim den Rentner Johann K. totfuhr, muss sich in Kürze vor Richter Dr. Wolfgang Hilgert verantworten. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Fahrerflucht (Az. 617 LS 25/08).

Doch der mutmaßliche Täter fühlt sich offenbar obenauf. Zu seiner Bewährungshelferin sagte er jetzt: „Ich gehe in Europa in keinen Knast. Bevor ich das mache, werde ich mich wehren. Diejenigen, die das machen, müssen dran glauben. Das soll man auch dem Herrn Dr. Hilgert ausrichten.“"


Und das innerhalb der Bewährungsfrist einer Gefängnisstrafe von 1 1/2 Jahren auf Bewährung für schweren Raub. Darauf steht normalerweise eine Mindeststrafe von 3 Jahren (§ 250 Abs. 1 StGB) oder 5 Jahren (Abs. 2), wenn nicht besondere Umstände die Qualifikation als minderschweren Fall zulassen (Abs. 3):

http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__250.html

Höhere Gefängnisstrafen als 2 Jahre dürfen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. In diesem Fall hat die Justiz also (wieder einmal) unter Beweis gestellt, dass es einen Tätertypus gibt, der ein äußerst mildes Urteil und damit "Friedensangebot" des Rechtsstaates als pure Schwäche interpretiert, die mit der Gefährdung von Verkehrsteilnehmern und Morddrohungen gegen Richter zu quittieren ist.

Es wird wirklich Zeit, über gesetzliche Möglichkeiten zu reden, richterlicher Großzügigkeit speziell im Hinblick auf diesen Tätertypus Grenzen zu setzen. Das könnten z. B. gesetzliche Einschränkungen des richterlichen Ermessens bei der Strafzumessung sein, wenn bestimmte Merkmale der Täterpersönlichkeit bzw. dessen innerer Einstellung bezogen auf die Tat festgestellt werden können. Wenn es rechtsstaatlich unproblematisch ist, dass die im Mord - § aufgelisteten Merkmale dieser Art ("niedrige Beweggründe") zu einer Gefängnisstrafe von effektiv + / - 20 Jahren statt + / - 10 Jahren wegen Totschlags führen, dann ist es auch unproblematisch, an offen bekundeten Verbrecherhochmut eine Sperrung des unteren Drittels oder der unteren Hälfte der Strafrahmen der einschlägigen Delikte sowie ein Bewährungsverbot anzuknüpfen.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Bundesverfassungsgericht bemängelt Haftbedingungen

Beitragvon AlexRE » Di 4. Feb 2014, 16:09

Das BVerfG hat erneut seinen Willen bekräftigt, (vermeintlichen) Verletzungen der Menschenwürde von Strafgefangenen konsequent entgegenzutreten:

Prozesskostenhilfe bei Amtshaftungsklagen
wegen Menschenwürdeverletzungen


(...)

Der Beschwerdeführer, der eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes
mit anschließender Sicherungsverwahrung verbüßt, wurde im November 2009
wegen plötzlich auftretender krampfartiger Schmerzen im Unterleib von
mehreren Justizvollzugsbediensteten in eine Klinik verbracht. Ihm wurden
dabei Hand- und Fußfesseln angelegt, die auch während der Behandlung in
der Klinik nicht abgenommen wurden. Im Beisein der
Justizvollzugsbediensteten und von Polizeibeamten wurden ihm im
Behandlungszimmer mehrere Einläufe verabreicht. Dabei wurde ihm nicht
gestattet, im Anschluss daran die im Behandlungszimmer befindliche
fensterlose Toilette aufzusuchen. Vielmehr musste er seine Notdurft im
Beisein der Beamten im Behandlungszimmer auf einem Toilettenstuhl
verrichten.

Die Strafvollstreckungskammer stellte rechtskräftig fest, dass die
Sicherungsmaßnahmen, insbesondere die fortdauernde Fesselung des
Beschwerdeführers anlässlich des Krankenhausaufenthaltes, rechtswidrig
waren.

Zur Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen stellte der
Beschwerdeführer einen Antrag auf Prozesskostenhilfe. Diesen Antrag
lehnten Land- und Oberlandesgericht mangels hinreichender
Erfolgsaussicht ab. Die Fesselung habe zwar einen erheblichen Eingriff
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und auch in die Menschenwürde des
Beschwerdeführers dargestellt; dieser sei jedoch durch die Entscheidung
der Strafvollstreckungskammer auch ohne Geldentschädigung hinreichend
ausgeglichen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die
angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den
Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Art.
3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und ist daher aufzuheben.

Es läuft dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn ein
Fachgericht das Zivilprozessrecht dahingehend auslegt, dass auch
schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im
Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden“ werden können.

(...)


http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg14-005.html
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24


Zurück zu Staatliches Gewaltmonopol und Sicherheit der Bürger

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste