Geschlossene Gesellschaft

Hier wird die Frage diskutiert, ob die Wehrpflicht in ihrer heutigen Form überhaupt noch verfassungsgemäß ist.

Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Fr 21. Jan 2011, 13:20

Das Bild des "Bürgers in Uniform" wurde in den letzten Tagen arg getrübt. Die Berufs- und Zeitsoldatengemeinde auf der Gorch Fock und in Afghanistan hat den Verteidigungsminister getreu dem militärischen Grundsatz "klotzen, nicht kleckern" gleich mit drei Skandalen innerhalb weniger Tage überrollt:


Ein Offizier berichtet

"Gorch Fock" – Diebstahl, Demütigung, Tod

Es sind schockierende Zustände: Ein Ex-Offiziersanwärter erzählt, was er auf der "Gorch Fock" erdulden musste.


(...)

Gleich zu Beginn der Ausbildung waren die Lager klar: Offiziersanwärter auf der einen, Stammbesatzung und Schiffsführung auf der anderen Seite. Wer sich über die gesamte Ausbildungszeit unterwarf und spurte, konnte dann und wann die Grenzen zur Besatzung überwinden. Wer sich jedoch nicht unterwürfig verhielt, wurde – wie in meinem Fall –, gern mit scharfem Ton und Blick in die hohen Masten vermittelt: „Pass bloß auf, da oben sind wir allein!“, hieß es dann drohend. Hier gab es kein Miteinander.

(...)

Bei uns kam großer Ärger auf, weil wir nachweisbar und wiederholt von der Stammbesatzung beklaut wurden. Wenn es auch bei uns zu einem Todesfall wie jenem von Sarah S. gekommen wäre – die Reaktionen hätten sich zu denen von heute wohl nicht unterschieden, so groß war der Groll.


Quelle: welt.de

Außerdem ist nach aktuellen Meldungen wahrscheinlich während des Merkel - Besuches in Afghanistan im Dezember ein "friendly fire" - Unfall bzw. eine fahrlässige Tötung eines Soldaten als "Unfall beim Waffenreinigen" kaschiert worden:

bz-berlin.de > Tötete Bundeswehr - Soldat Kameraden?

Gleichzeitig muss der Verteidigungsminister auch noch Ermittlungen wegen mutmaßlicher systematischer Verletzung des Briefgeheimnisses bei der Feldpost aus Afghanistan einleiten:

focus.de > Geöffnete Feldpost: Guttenberg lässt ermitteln

Mal abgesehen davon, dass das zeitgleiche Erscheinen dieser den Verteidigungsminister belastenden Berichte etwas erstaunt (Zufall?), erhalten die Bedenken gegen eine vollständige Abschaffung der Wehrpflicht neue Nahrung. Ausgerechnet zu Beginn des Jahres, in dem erstmals keine Einberufungen erfolgen sollen, stellen Berufssoldaten gleich mehrfach das Bild des "Bürgers in Uniform" in Frage....
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Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Sa 22. Jan 2011, 13:29

Der Verteidigungsminister hat den Kapitän der Gorch Fock seines Kommandos enthoben und das Schiff wird nach der Rückkehr nach Deutschland erst einmal aus der Fahrbereitschaft genommen. Die Vorwürfe sind schwerwiegend:

Einen Tag nach dem Unglück hält Kapitän Norbert Schatz, Kommandant der „Gorch Fock“, eine Ansprache, verkündet, dass Sarah S. tot ist. „Wir haben die Rede als unpassend empfunden“, berichtet der Offiziersanwärter. „Der Kapitän sagte sinngemäß: ‚Flugzeuge stürzen ab, Autos verunglücken, und auch hier passieren Unfälle.‘ Eine Kameradin brach weinend zusammen. Da sagte einer der Offiziere zu ihr: ‚Was stellen Sie sich so an? Das ist hier kein Kinderspielplatz.‘“

(...)

„Einer der Ausbilder sagte: ‚Hier wird seit über fünfzig Jahren ausgebildet und solche Unfälle hat es früher nicht gegeben. Das liegt daran, dass heute viel mehr minderwertiges Menschenmaterial an Bord ist.‘“


Quelle: bild.de

Die tödlich verunglückte Offiziersanwärterin:

Bild

Der Artikel enthält noch weitere Details, die von der Stammbesatzung der Gorch Fock ein Bild entwerfen, das dem des an grundgesetzlichen Werten orientierten "Bürgers in Uniform" diametral entgegensteht. Man könnte also durchaus fragen, ob es nicht besser wäre, wenn auch in Zukunft für jedweden Korpsgeist unanfällige Wehrpflichtige Teil des Soziotops "Bundeswehr" blieben.

Allerdings hat im Fall der Gorch Fock die Reaktion von 4 Offiziersanwärtern auf die skandalösen Vorgänge im November, mit der sie sich dem (haltlosen) Vorwurf der Meuterei ausgesetzt haben, dass es auch im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung zuverlässige Zeit- und Berufssoldaten gibt.
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Di 25. Jan 2011, 19:19

Auf politikforen.net gibt es einen langen thread zum Thema "Gorch Fock", dort habe ich gerade einen Beitrag zu dem Todesfall im Jahre 2008 geschrieben. Das ist eine Antwort auf einen Beitrag eines kommunistischen Teilnehmers:

Kriegsminister Guttenberg und sein Schweinestall!
Ausmisten und weg mit dem adeligen Drecksack.


Wenn der Tod der 18-jährigen Offiziersanwärterin tatsächlich die Folge einer Straftat sein sollte, wird der Täter kaum adelig sein. Zur Tatzeit im Jahre 2008 gab es auch noch keinen adeligen Verteidigungsminister, der irgendwie mitverantwortlich sein könnte.

Ich bin durchaus kein Freund der Pflege vordemokratischer Traditionen, von mir aus könnten sie Adelstitel hier genauso abschaffen wie in Österreich. Als Instrument irgendwelcher klassenkämpferischen Ambitionen oder parteipolitischen Positionskämpfe sind solche Tragödien aber m. M. n. nicht geeignet. So eine Instrumentalisierung ist gleichzeitig ein Appell an ein Ausmaß an Dummheit des Publikums, das so gar nicht besteht, und eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer.
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Mi 26. Jan 2011, 16:33

Ich hoffe übrigens, dass sie nach Aufarbeitung der BW - Skandale nicht in`s andere Extrem fallen...

Bild


Meistens ist der goldene Mittelweg der richtige.
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Sa 29. Jan 2011, 20:34

Neueste Havariemeldung von der Gorch Fock:

Ex-Kapitän Schatz erwägt offenbar Klage

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat seine Entscheidung verteidigt, den "Gorch-Fock"-Kapitän vorläufig zu suspendieren. Der Kapitän eines Schiffes dieser Größe müsse "den Kopf frei" haben, sagte er im Südwestrundfunk. Die Suspendierung von Norbert Schatz sei nicht nur zu dessen eigenem, sondern auch zum Schutz der gesamten Besatzung geschehen. Weder sei der Kommandant abserviert, noch geschasst oder gefeuert, unterstrich Guttenberg mit Blick auf einen Protestbrief der Stammbesatzung.

(...)

Einer Suspendierung vom Dienst müsse "ein rechtliches Gehör des Betroffenen vorausgehen", sagte der Wilhelmshavener Anwalt Hans-Joachim Heine dem "Focus".


Quelle: tagesschau.de

Bei aller Antipathie gegenüber der CDU und der derzeitigen Regierung schließe ich mich da mal den Ausführungen des Ministers an. Eine zumindest vorübergehende Abberufung vom Kommando ist auch im Interesse des Kapitäns selbst unvermeidlich, damit ihm später niemand vorhalten kann, während der Emittlungen gegen ihn seine Befugnisse zur Verschleierung des Sachverhalts missbraucht zu haben.

Genau genommen sehe ich da überhaupt keinen Eingriff in seine Rechte, vor dem er angehört werden müsste. Ausgerechnet ein Berufsoffizier beansprucht eine Anhörung, bevor er sich auf Weisung des Ministers in ein Flugzeug setzt...
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » So 30. Jan 2011, 20:00

Ich habe das Thema "Gorch Fock" auch auf dem neuen blauen Forum (Betreiber: unser GG-Aktiv Teilnehmer "Vader") angelegt, dort ist man skeptisch hinsichtlich der Begründung der Suspendierung. Deshalb musste ich das noch einmal näher erklären:

wir-koennen-auch-anders

dundee hat geschrieben: und diese suspendierung als "vorsichtsmaßnahme" dient also dem beschuldigten?

genau so versucht guttenberg es doch zu verkaufen!


Das ist nicht so unglaubhaft, wie es Dir erscheint. Wenn die Untersuchungen zu keinem bzw. zu einem für den Beschuldigten günstigen Ergebnis führen, ist es weitaus besser für ihn, wenn ihm dann niemand vorhalten kann, dass er seine Anwesenheit am Ort der Ermittlungen und seine Befugnisse als Kapitän zu Verdunkelungsmachenschaften benutzt habe.
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon DJ_rainbow » Mo 31. Jan 2011, 08:35

Bin völlig Deiner Meinung, Alex. Selten, aber kommt vor. :mrgreen:

Zumal all diejenigen, die jetzt die Suspendierung des Kapitäns kritisieren, genauso plärren würden, wenn KT ihn nicht suspendiert hätte.

Unabhängig davon, was an Bord der GF und auch sonst bei der BW wirklich vorgefallen ist und unabhängig davon, ob man KT für kompetent hält oder nicht - hier wird miese Parteipolitik zu Lasten der Soldaten gemacht. Genauer: Zu Lasten der Soldaten, die dann am Hindukusch wieder den Arsch hinhalten sollen für die Politbonzen.
In der Demokratie mästen sich Sozialisten in Parlamenten. Im Sozialismus hungern Demokraten in Zuchthäusern und Arbeitslagern.

Modi bei http://www.radio-xtream.de

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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Di 1. Feb 2011, 15:54

Das habe ich gerade unter "Thema des Tages" geschrieben und kopiere es auch noch auf das passende Spezialthema hier:

Ich habe auf dem Forum politikforen.net gelesen, dass am 30.01.2011 vier deutsche Soldaten bei einem Selbstmordanschlag in Afghanistan getötet worden sein sollen.

Die deutschen Medien haben darüber aber noch nichts verlauten lassen. Bei Eingabe der Suchanfrage "30.01.2011 Afghanistan 4 deutsche Soldaten" kommt keine Information zu dem Ereignis:

http://www.google.de/search?q=Afghanistan+30.01.2011+4+Soldaten&rlz=1I7IRFC_de

Wenn man "4 Soldaten" durch "4 german soldiers" ersetzt, findet man aber internationale Pressemeldungen dazu:

http://www.google.de/search?hl=de&rlz=1I7IRFC_de&q=Afghanistan+30.01.2011+4+german+Soldiers&aq=f&aqi=&aql=&oq=

Anscheinend gibt es bei uns jetzt schon Nachrichtensperren....
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » Mi 2. Feb 2011, 11:56

DJ_rainbow hat geschrieben:Zumal all diejenigen, die jetzt die Suspendierung des Kapitäns kritisieren, genauso plärren würden, wenn KT ihn nicht suspendiert hätte.


Das glaube ich allerdings auch. Diese Leute dokumentieren ein Selbstverständnis von (partei-) politischer Opposition, das mit demokratischer Aufsicht gar nichts zu tun hat und sich ausschließlich auf die politische Beschädigung der Regierenden beschränkt.

So wird wieder einmal die Richtigkeit der Beschreibung unserer politischen Klasse durch den Ex - Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker bestätigt: "Generalisten mit dem Spezialgebiet, dem politischen Gegner Schaden zuzufügen"
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Re: Geschlossene Gesellschaft

Beitragvon AlexRE » So 6. Feb 2011, 19:09

Ein Artikel über eine interessante Talk - Runde zum Thema "Bundeswehr" mit heiterem Ausgang:

Heißes Wortgefecht bei ZDF-Talkmaster Markus Lanz am Dienstagabend: Ex-Gorch-Fock-Kommandant Immo von Schnurbein und die Schauspieler Til Schweiger sowie Armin Rohde verzettelten sich in eine verrückte Diskussion über die Bundeswehr.

(...)

„Ich war in Holland stationiert, das Leben da hat mir nicht gefallen. Ich hatte halt so einen Unteroffizier, der sah aus wie Schweinchen Dick. Das war so ein kleiner Depp, der wirklich dumm war wie Brot. Ich habe echt versucht, mich mit ihm zu arrangieren, aber nur zu bis einem gewissen Grad. Irgendwann habe ich gemerkt, das geht nicht, ich kann so nicht leben“, berichtete Schweiger.

Er habe sich dann dazu entschlossen, den Wehrdienst abzubrechen und „etwas vernünftiges“ zu machen: „Ich bin dann ins Krankenhaus gegangen.“

(...)

Lanz versuchte nun, die Situation zu retten. Er fragte von Schnurbein, ob er den neuen Schweiger-Film „Kokowääh“ im Kino anschauen würde. Der Offizier: „Wenn meine Frau sagt: Du, da gehen wir jetzt hin, dann geh ich da auch hin.“

Lanz: „Sonst wäre das ja schon wieder Befehlsverweigerung.“ Von Schnurbein: „Das ist Kooperation, mein lieber.“ Das Gefecht war beendet, das Publikum lachte lauthals. Und Til Schweiger versprach: „Genau diesen Dialog werde ich in meinen nächsten Film einbauen...“


Quelle: mopo.de

Letztendlich halte ich den Gegenstand dieses Gespräches aber für eine im wahrsten Sinne des Wortes todernste Angelegenheit. Das Militär eines demokratischen Rechtsstaates kann es sich beim besten Willen nicht leisten, selbstbewusste und kreative Charaktere von stumpfsinnigen Dummköpfen wegekeln zu lassen, letztere Typen haben in totalitären Systemen - den potentiellen Kriegsgegnern von freiheitlichen Rechtsstaaten - auf jeden Fall eine brutalere Sozialisation erfahren als die Dumpfbacken der freien Welt. Wer die Bundeswehr solchen Pfeifen überlässt, muss im Ernstfall also nach den Regeln des Feindes spielen, die dieser besser beherrscht.

Die große Stärke der freien Welt sind solche Typen wie Til Schweiger, damit müssen die Militärs klarkommen, wenn sie nicht den schwerstmöglichen Fehler und die schwerstmögliche Pflichtwidrigkeit verantworten wollen, die sie in ihrem Beruf begehen können.
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