01.08.2011
Recht ohne RacheWas für eine erleichternde Nachricht inmitten des Schreckens! Ameneh Bahrami (Foto), 32, hat das Schwefelsäure-Attentat eines Verehrers, dessen Heiratsantrag sie abgelehnt hatte, 2004 nur sehr knapp überlebt. Sie ist heute auf einem Auge ganz, auf dem anderen fast blind, Gesicht und Körper sind entstellt. Sieben Jahre lang hatte die ehemalige Ingenieur-Studentin, die heute in Barcelona lebt, gekämpft. Bis sie Recht bekam, iranisches Recht. Danach hätte sie dem Täter, dem vier Jahre jüngeren Madschid Movahedi, Auge um Auge ihr Leid zurückzahlen dürfen. Sie hätte ihm nicht nur, wie zunächst zugestanden, ein Auge blenden dürfen – denn nach islamischem Recht ist ein Auge eines Mannes soviel wert wie zwei Augen einer Frau – sondern zwei (zur Kompensation ihrer übrigen Verstümmelungen). Im allerletzten Augenblick jedoch verzichtete die junge Frau auf die zugestandene Rache; der Arzt, der den Täter vorher hätte betäuben sollen, stand schon bereit. Amenehs Verzicht auf Rache war für alle eine Überraschung, selbst für ihren eigenen Anwalt.
Dabei hatte der Stalker, der damals der Studentin die Schwefelsäure auf ihrem Heimweg ins Gesicht geschüttet hatte, im letzten Augenblick noch mal nachgeladen. Ihr deutscher Verlag, mit dem sie gestern telefonierte, berichtet, der von seiner Familie begleitete Täter habe sie vor aller Augen noch bis zuletzt beschimpft: Unter Tränen habe er ihr entgegengeschleudert: „Du fette Kuh, du alte Jungfer. Du wirst büßen, für das, was du tust!“
Ameneh tat es nicht. Nach ihrer Erklärung, dass sie auf die Vollstreckung des Urteils verzichte, sprang Madschid auf, küsste ihr die Hände und Füße und flehte: „Bitte heirate mich. Ich möchte für immer dein Diener sein.“ Doch so einfach ist es nicht mit einer Kämpferin wie Ameneh, die heute im Westen lebt und über das Verbrechen, das ihr in ihrer Heimat, wo eine Frau nicht Nein sagen darf, widerfahren ist, ein international beachtetes Buch geschrieben hat („Auge um Auge“).
Die junge Frau antwortete ihrem Fast-Mörder: „Ich werde dich niemals heiraten! Ich habe nicht deinetwegen verzichtet, sondern meinetwegen.“ Sie sagt heute, sie habe diesen Entschluss, um ihr Recht auf Rache zwar zu kämpfen, es aber nicht zu vollstrecken, schon vor sieben Jahren gefasst, aber niemandem etwas davon gesagt.
Noch sitzt der seit 2008 inhaftierte Madschid Mowahedi im Gefängnis. Denn noch steht die Entscheidung über die Schadensersatzklage aus. Mit den geforderten 150.000 Euro könnte das Opfer wenigstens einen Teil der bisher sieben Operationen bezahlen, mit denen die Ärzte um ein Minimum ihrer Sehfähigkeit und ein menschliches Gesicht kämpfen.
Ich hätte es verstanden, wenn Ameneh sich gerächt hätte.
Aber ich finde es noch bewundernswerter, dass diese so geprüfte Frau sich nicht vom Gegner die Menschlichkeit rauben lässt. Sie hat es eben nicht „Auge um Auge“ heimgezahlt – aber sie hat den Frauen und Männern in ihrem Land und in der ganzen Welt bewiesen, dass selbst im Iran eine Frau Rechte hat. Wenn sie darum kämpft.
Alice Schwarzerhttp://www.aliceschwarzer.de/publikatio ... t3blog_pi1[blogList][showUid]=77&tx_t3blog_pi1[blogList][year]=2011&tx_t3blog_pi1[blogList][month]=08&tx_t3blog_pi1[blogList][day]=01&cHash=3ec6feb98a