Nachdem in Bayern eine Volksabstimmung zu Lasten der Minderheiten der Raucher und der Gastronomen ausgegangen ist, wirft jetzt das Ergebnis der Volksabstimmung gegen die Primarschule in Hamburg die sensibelste Frage im Zusammenhang mit der direkten Demokratie, die der möglichen Gefährdung der Grundrechte von Minderheiten und Einzelnen, in noch gravierenderer Weise auf:
Dabei ist auffällig, dass die Wahlbeteiligung in den sozial schwächeren Stadtteilen eher gering war, während sie in den wohlhabenderen Gegenden überdurchschnittlich hoch ausgefallen ist. Die beiden erwähnten Stadtteile sind dafür exemplarisch: Nienstedten verzeichnet mit 0,5 Prozent die geringste Arbeitslosenquote unter den Stadtteilen, Billbrook mit 15,4 Prozent die höchste.
Dies bestätigt einen gängigen Befund der Partizipationsforschung, nach dem die Wahlbeteiligung in sozial schwächeren Schichten generell niedriger ist als in den wohlhabenderen Schichten. Das Dilemma: Eigentlich sollte die Schulreform gerade für jene sozial Schwachen Vorteile bringen, sie konnten aber nicht mobilisiert werden.
Quelle:
zeit.deHier geht es nicht mehr wie in der Nichtraucherschutz - Abstimmung um das allgemeine Freiheitsrecht der Raucher aus Artikel 2 GG, das relativ unproblematisch mit dem verfassungsrechtlich ebenso geschützten Recht der Nichtraucher auf Gesundheit abgewogen werden kann, sondern um das vom Grundgesetz geforderte Minimum an Chancengleichheit im Bildungswesen auch für Kinder sozial schwacher Familien. Die verfassungsrechtliche Grundlage dieses Anspruches des Grundgesetzes ist das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG. Das wiederum ist nach Artikel 79 Abs. 3 GG durch keine noch so grosse Mehrheit in Bundestag und Bundesrat antastbar.
Meiner Meinung nach hätte diese Volksabstimmung deshalb gar nicht erst stattfinden dürfen, dass die sozial schwachen Kreise in Hamburg durch mangelnde Partizipation die Grundrechte ihrer Kinder schutzlos gestellt haben, ändert daran nichts. Die in Artikel 79 Abs. 3 GG aufgeführten Grundgesetzpostulate sind noch nicht einmal durch die betroffenen Grundrechtsträger selbst veräusserlich, geschweige denn durch deren Eltern oder sonstige gesetzliche Vertreter.
Insgesamt ist das Ergebnis der Hamburger Volksabstimmung gegen die Primarschule also eine der negativsten Erfahrungen, die man mit der direkten Demokratie überhaupt machen konnte. Im Falle der Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene muss deshalb von Anfang an geklärt werden, dass Abstimmungen mit verfassungswidrigen Zielen nach erfolgreicher Unterschriftensammlung vom Bundesverfassungsgericht zu untersagen sind.
Siehe auch:
Grundgesetz Aktiv > Direkte Demokratie