Erfrischend ehrlich...

Hier werden Meinungen zu Sinn oder Unsinn von Bundeswehreinsätzen jenseits der deutschen Grenzen diskutiert.

Erfrischend ehrlich...

Beitragvon AlexRE » Do 27. Mai 2010, 13:38

... hat sich der Bundespräsident zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr als künftigem festen Bestandteil der Aussenpolitik der Wirtschaftsgrossmacht Deutschland geäussert:

"Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."


Quelle: spiegel.de

Ich bin da allerdings sehr skeptisch. In der Zeit des "Wirtschaftswunders" in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat es auch öfters Kriege und Krisen irgendwo auf der Welt gegeben, ohne dass die Bundesrepublik dadurch in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung behindert wurde.

Zudem steht immer noch das hier im Grundgesetz:

Artikel 26

(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

(2) Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Quelle: dejure.org

Der Text ist natürlich interpretationsfähig, in irgendeinem Bürgerkriegschaos zu intervenieren, um die Ordnung wiederherzustellen, würde ich nicht als "Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker" ansehen. "Die Freiheit der Handelswege" notfalls mit Gewalt herzustellen, ist im Lichte des Artikel 26 GG schon eine problematischere Formulierung des Bundespräsidenten.

Insgesamt ist mir dieser offene Umgang mit den tatsächlichen Perspektiven und politischen Motiven jedenfalls lieber als vorgeschobene Gründe für Militäreinsätze und politische Heuchelei aller Art.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon maxikatze » Fr 28. Mai 2010, 13:12

So "erfrischend" finde ich das allerdings nicht, sondern bin ehrlich gesagt entsetzt. Manchmal frage ich mich, ob Politiker nicht generell grössenwahnsinnig sind, wenn solche Reden wie die vom Bundespräsidenten Köhler zu hören sind und aus seiner eigenen Partei kein Aufschrei kommt. Für mich hat sich jedenfalls der Amtsinhaber ob dieser Rede gründlich disqualifiziert.
Ich kann nur hoffen, dass die Empörung und Kritik der anderen Parteien ehrlich und nicht gespielt war.
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
* * *
Bild
Benutzeravatar
maxikatze
Administrator
 
Beiträge: 24122
Registriert: Di 16. Dez 2008, 16:01
Wohnort: Sibirien ;)

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon AlexRE » Fr 28. Mai 2010, 18:57

maxikatze hat geschrieben:Ich kann nur hoffen, dass die Empörung und Kritik der anderen Parteien ehrlich und nicht gespielt war.


Da hoffst Du vergeblich, das ist zu 100 % Heuchelei:

Die Empörung über Horst Köhler wirkt aufgesetzt. Vor allem die SPD regt sich wider besseres Wissen über den Bundespräsidenten auf, der Wirtschaftsinteressen in Zusammenhang mit Auslandseinsätzen gestellt hat. Oder hat die heutige Oppositionspartei vergessen, dass sie 2006 Co-Autor des "Weißbuches zur Sicherheitspolitik Deutschlands" war, in dem richtigerweise der freie Welthandel als nationales Interesse festgeschrieben wurde? Außerdem sollten sich die Köhler-Kritiker der SPD daran erinnern, dass sie selbst der Verlängerung des Anti-Piraten-Einsatzes vor Somalia zugestimmt haben.


Quelle: presseportal.de

"Erfrischend" finde ich bei dieser Geschichte auch nur die für Politker ungewöhnliche Abwesenheit von Heuchelei in seinen Äusserungen zu dem Thema.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon AlexRE » Sa 29. Mai 2010, 11:11

Auf unserem thread "Thema des Tages" zu diesem Thema geschrieben:
_________

Santo hat geschrieben:Art.26 I GG ist leichtestens zu umgehen, indem man schlicht behauptet die eigenen Handlungen seien "friedensstiftender" Art. Der Nachweis absichtlich das friedliche Zusammenleben von Völkern zu stören ist faktisch kaum zu führen. Da müsste ein "Aggressor" schon mehr als dümmlich sein.

Von Abs.2 desselben Artikels 26 GG machen die Vertreter der Bundesrepublik nur allzu gern Gebrauch und das nicht erst seit gestern. Nicht umsonst ist die Bundesrepublik einer der größten Waffenexportstaaten weltweit, ich meine sogar erst kürzlich gehört zu haben unter den "Top Drei" anzufinden...

Die Ansicht des Bundespräsidenten, so kritikwürdig sie in Teilbereichen auch sein mag, ist im Grundsatz dennoch vertretbar. Das Kritikwürdige sind nicht zuletzt die, insbesondere für die Angehörigen Gefallener, daraus resultierenden bitteren Früchte einer falsch verstandenen Globalisierung, die nur auf oppportunistische Macht und Raffgier aufgebaut ist, eher weniger auf tatsächliches verträgliches Miteinander ganzer Staatssysteme.



Deswegen finde ich die Offenherzigkeit des Bundespräsidenten ja so "erfrischend". Wenn die Politik Ross und Reiter nennt und die tatsächlichen Motive für einzelne Kriegseinsätze ("Sicherung der Handelswege") offen und ehrlich benennt, kann jeder bevorstehende Kriegseinsatz in einem Eilverfahren vom Bundesverfassungsgericht im Sinne des Art. 26 Abs. 1 GG überprüft werden. Wenn Gründe vorgeschoben würden, wäre das sehr wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht kurzfristig aufschlüsselbar und der Art. 26 wäre in seiner heutigen Fassung praktisch wirkungslos.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon maxikatze » Sa 29. Mai 2010, 22:00

.....Grünen forderten Köhler auf, seine Aussage zurückzunehmen. Die Linke verlangte ein neues Votum des Bundestags über das Bundeswehrmandat.....
aus: http://www.welt.de/die-welt/politik/art ... ehler.html

......Berlin - War es Absicht oder Unbedachtheit? Horst Köhler hat in einem Interview am Rande seines Truppenbesuchs in Afghanistan Bundeswehr-Einsätze auch mit wirtschaftlichen Interessen begründet. Im politischen Berlin hat das große Irritationen ausgelöst. SPD, Grüne und Linke zeigen sich empört. Aber auch in Union und FDP herrscht Verärgerung über die Worte des Staatsoberhaupts. Rückendeckung gibt es nur in homöopathischen Dosen......

aus: http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 44,00.html

Von wegen gespielte Empörung. Dass er sich mit dieser Aussage nicht mehr auf dem Boden des GG bewegt, machten namhafte Politiker allzu deutlich.
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
* * *
Bild
Benutzeravatar
maxikatze
Administrator
 
Beiträge: 24122
Registriert: Di 16. Dez 2008, 16:01
Wohnort: Sibirien ;)

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon AlexRE » Sa 29. Mai 2010, 22:35

maxikatze hat geschrieben:......Berlin - War es Absicht oder Unbedachtheit? Horst Köhler hat in einem Interview am Rande seines Truppenbesuchs in Afghanistan Bundeswehr-Einsätze auch mit wirtschaftlichen Interessen begründet. Im politischen Berlin hat das große Irritationen ausgelöst. SPD, Grüne und Linke zeigen sich empört. Aber auch in Union und FDP herrscht Verärgerung über die Worte des Staatsoberhaupts. Rückendeckung gibt es nur in homöopathischen Dosen......

aus: http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 44,00.html

Von wegen gespielte Empörung. Dass er sich mit dieser Aussage nicht mehr auf dem Boden des GG bewegt, machten namhafte Politiker allzu deutlich.


Sorry, aber sowas halte ich für zum Himmel stinkende Heuchelei:

Aber Alleingänge der Bundeswehr wegen unserer Außenhandelsinteressen können nicht Teil unserer Außenpolitik sein", so Pflüger. Zwar müssten die Europäer hinsichtlich des Außenhandels, der Energie- und Rohstoffsicherheit ihre Interessen stärker artikulieren. Das dürfe aber "doch nicht dazu führen, dass die Bundeswehr zu einem Instrument der Außenhandelspolitik gemacht wird". Pflüger weiter: "Das kann der Bundespräsident nicht gemeint haben."


In Köhlers Text steht absolut nichts von deutschen Alleingängen, aber darauf reiten sie jetzt alle herum. Das zeigt, dass sie sich um das eigentliche Thema "Wirschaftskrieg" herumdrücken und genau das selber im Sinn haben.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon maxikatze » So 30. Mai 2010, 11:45

[quote="AlexRE"

Sorry, aber sowas halte ich für zum Himmel stinkende Heuchelei:

Aber Alleingänge der Bundeswehr wegen unserer Außenhandelsinteressen können nicht Teil unserer Außenpolitik sein", so Pflüger. Zwar müssten die Europäer hinsichtlich des Außenhandels, der Energie- und Rohstoffsicherheit ihre Interessen stärker artikulieren. Das dürfe aber "doch nicht dazu führen, dass die Bundeswehr zu einem Instrument der Außenhandelspolitik gemacht wird". Pflüger weiter: "Das kann der Bundespräsident nicht gemeint haben."


In Köhlers Text steht absolut nichts von deutschen Alleingängen, aber darauf reiten sie jetzt alle herum. Das zeigt, dass sie sich um das eigentliche Thema "Wirschaftskrieg" herumdrücken und genau das selber im Sinn haben.[/quote]

Ich habe nicht behauptet, dass Deutschland bereit wäre, sich im Alleingang an kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Da benötigen sie schon die Unterstützung der Nato, die mM längst keine Verteidigungsarmee mehr ist.
Köhler hat ganz gewiss diese Worte mit Bedacht gewählt, er hat sich klar und deutlich ausgedrückt. Da gibt es nichts zu beschönigen und kleinzureden. Und missverständlich war seine Rede auch nicht. Er hat die Katze aus dem Sack gelassen -
Ist Deutschland nach der Wiedervereinigung schon wieder soweit sich an allen Ecken und Enden der Welt an Kriegen zu beteiligen ? Was ist mit den Ländern, die angegriffen werden ? Haben sie keinerlei Rechte? Wie nimmt das Ausland (keine Nato-Länder) solche Sätze auf ? Haben sie wieder Angst vor Deutschland ?
Nein, so einen Bundespräsidenten brauche ich nicht. Hätte er nur seine Klappe gehalten.
Aber was rede ich da - mit diesem Land verbindet mich nichts und habe ich mich sowieso nie mit der BRD identifiziert. Dafür wird mir zuviel gegen das Volk regiert.
Ich werde den Link zu Köhlers Gästebuch raussuchen und meinen Standpunkt darin darlegen.
"Die größte Errungenschaft unserer freiheitlichen Kultur ist die Überwindung von Denkverboten." (Vince Ebert)
* * *
Bild
Benutzeravatar
maxikatze
Administrator
 
Beiträge: 24122
Registriert: Di 16. Dez 2008, 16:01
Wohnort: Sibirien ;)

Re: Erfrischend ehrlich...

Beitragvon AlexRE » So 30. Mai 2010, 16:29

maxikatze hat geschrieben:Ich habe nicht behauptet, dass Deutschland bereit wäre, sich im Alleingang an kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Da benötigen sie schon die Unterstützung der Nato, die mM längst keine Verteidigungsarmee mehr ist. Köhler hat ganz gewiss diese Worte mit Bedacht gewählt, er hat sich klar und deutlich ausgedrückt. Da gibt es nichts zu beschönigen und kleinzureden. Und missverständlich war seine Rede auch nicht. Er hat die Katze aus dem Sack gelassen -


Du hast das nicht behauptet, Köhler selbst hat auch mit keinem Wort von Deutschen Alleingängen gesprochen, die genannten anderen Politiker haben seinen Text aber auf diese Schiene zu drücken versucht, um so von dem eigentlichen Thema abzulenken. Das meinte ich mit Heuchelei.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
Benutzeravatar
AlexRE
Administrator
 
Beiträge: 28097
Registriert: Di 16. Dez 2008, 15:24


Zurück zu Deutsche Militäreinsätze im Ausland

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste