Das blinde und grenzenlose Verlangen der "Gebildeten" nach mehr Bildung der "Ungebildeten" ist UNSOZIAL!
(2004)
von
Harald Wozniewski
Seit Jahren und Jahrzehnten wird von Parteien, Politikern und sogar Medien die Bildung immer wieder als Lösung der Probleme der Wirtschaft und der Arbeitslosigkeit angeführt. Es gäbe ein paar Hunderttausend freie Arbeitsplätze, wird argumentiert, doch die Bewerber seien dafür meist nicht qualifiziert. Deshalb müsse mehr für die Bildung getan werden. Das klingt erst einmal ganz logisch. Zum Teil wird noch weiter argumentiert: Wenn erst einmal die freien Arbeitsplätze besetzt seien, würde die Konjunktur steigen, was wiederum zu einem größeren Arbeitsplatzangebot führen würde. Auch das hört sich noch plausibel an.
Doch der Ruf nach Bildung und nach gleichen Bildungschancen für alle, der ursprünglich auch gut gemeint war, kehrt sich in sein Gegenteil um. Mehr Bildung führt nicht zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern nur zu mehr Konkurrenz der Arbeitslosen um freie und besetzte (!) Arbeitsplätze. Es ist sogar schlicht unsozial, Bildung derart überzubewerten.
1. Bildung für sich genommen ist ein wichtiger kultureller und wirtschaftlicher Wert. Daran besteht gar kein Zweifel. In Deutschland war das wegen der zwei Weltkriege besonders zu spüren. Jeder Krieg hat in einem Land nicht nur wirtschaftlichen Schaden zur Folge, sondern auch ganz erheblichen Schaden bei der Bildung der Kinder und folglich bei der Bildung der Bevölkerung insgesamt. Wenn die Menschen um ihr nacktes Überleben kämpfen müssen, haben sie keine Zeit für Bildung. Bildung ist ein Wert für sich. Dennoch darf man sie nicht zum Allheilmittel küren.
2. In der heutigen Arbeitsmarktsituation führt mehr Bildung nicht zu mehr Chancengleichheit unter den Menschen, sondern lediglich zu einem größeren Kampf um Arbeitsplätze auf höherem Niveau. Dadurch werden sogar bestehende Arbeitsverhältnisse in Mitleidenschaft gezogen; m. a. W.: Arbeitnehmer müssen hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes zunehmend die Konkurrenz von Arbeitslosen fürchten. Mobbing es dabei noch eine harmlose Zeiterscheinung.
Ich selbst bin promovierter Jurist und weiß, was Bildung ist. Ich weiß auch, dass heute und sicher auch noch im nächsten Jahrzehnt Bildung überhaupt keinerlei Gewähr für mehr Arbeitsplätze und für weniger Arbeitslose bietet. Mehr Bildung und mehr Kampf um Arbeitsplätze auf höherem Niveau dienen letztendlich nicht den Menschen, die auf abhängige Arbeit angewiesen sind, sondern allein den Arbeitgebern, da sie sich über eine größere Auswahl an Bewerbern und sicher auch über sinkende Löhne und Gehälter freuen dürfen. Mit Arbeitgebern meine ich hier insbesondere die reichen Unternehmenseigner, und nicht die kleinen Unternehmer, die selbst um ihre Existenz kämpfen müssen.
Die Ursachen der Krise unserer Volkswirtschaft und der Massenarbeitslosigkeit liegen nicht in mangelnder Bildung, wie unaufhörlich behauptet wird, sondern ganz woanders. Wäre diese Behauptung richtig, so hätte es in den sechziger Jahren keine Vollbeschäftigung geben können; damals war der Wissensstand in Deutschland mit Sicherheit um etliches niedriger als heute. Die Ursache der heutigen Krise liegt im modernen Feudalismus (Meudalismus), den ich an anderer Stelle ausführlich erkläre.
(Ergänzung 2007: Dass heute Jugendliche die Bildung verweigern, insbesondere diejenigen in den Hauptschulen, liegt primär an der beruflichen Perspektivlosigkeit dieser Jugendlichen. So dumm sind sie nicht, dass sie ihre prekäre Situation nicht erkennen würden. Sie konzentrieren sich deshalb darauf, das Leben „auf ihre Weise“ zu genießen. Die größten Bemühungen von Politikern und Lehrern zu mehr Bildung sind machtlos gegen den Sog der Perspektivlosigkeit dieser Jugendlichen.)
3. Wer Bildung zum wichtigsten Ziele seiner Politik macht, läuft Gefahr, jene aus der Gesellschaft auszugrenzen, die einfach nicht in der Lage sind, einen Bildungsmarathon zu bewältigen. Früher oder später heißt es dann über die Arbeitslosen, sie seien an ihrem Schicksal selbst schuld, weil sie sich einfach nicht genug gebildet haben. Die Überheblichkeit dieser Diskussion zeigt sich auch darin, dass stets die Bildung von anderen gemeint ist, nicht aber die eigene.
Wenn 2004 von angeblichen Sozialdemokraten "Elite-Universitäten" gefordert wurden, ist sogar das ursprüngliche Postulat von der Chancengleichheit über Bord geworfen. Hier sollen erklärtermaßen nur noch Eliten gefördert werden. Um das Allgemeinwohl geht es nicht mehr.
Der ständige Ruf nach mehr Bildung anderer ist in höchstem Maße unsozial. Wir brauchen keine Gesellschaft, in der jeder einen Bildungsmarathon absolvieren muss, selbst wenn er dazu überhaupt nicht in der Lage ist. Wir brauchen vielmehr eine Gesellschaft bzw. eine Wirtschaftsverfassung, in der es - wie in den sechziger Jahren - jedem gelingt, dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, egal welche Bildung er absolviert hat.
28.01.2004
http://www.manager-magazin.de/koepfe/ar ... 72,00.html (obsolet)
Herkunft ist wichtiger als Bildung
“Wer glaubt, eine gute Ausbildung sei die beste Grundlage für eine prächtige Karriere, liegt falsch. Eine Untersuchung britischer Wissen- schaftler zeigt: Gute Umgangs- formen sind den meisten Arbeit- gebern wichtiger als akademische Titel, Small Talk zählt mehr als Noten.”
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von Martin Herzog http://www.brainworker.ch/Bildung/bildu ... slosig.htm
Michael Hartmann, Der Mythos von den Leistungseliten: Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, Verlag Campus, 2002