http://forum.politik.de/forum/showthread.php?t=211431&page=6
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Tannhaeuser hat geschrieben:Sie meinen, "Vox populi vox Rindvieh"? Und wenn ich so manche Abgeordnete meines Bekanntenkreises so Revue passieren lasse - die wären nach diesem Kriterium auch nicht abstimmungsberechtigt *g*
In dem Zusammenhang erinnere ich immer an den Tag der Abstimmung im Bundesparlament über die später in Frankreich und Holland bei Volksabstimmungen gescheiterte europäische Verfassung.
Damals hatte sich ein Fernsehteam ins Foyer des Bundestages gestellt und die zum grossen Akt schreitenden Abgeordneten nach den Inhalten der EU - Verfassung gefragt. Die Antworten waren haarsträubend, die meisten wussten noch nicht mal, dass diese Verfassung europäische Volksabstimmungen nach Sammlung von 1 Mio. Unterschriften vorsah.
Und sowas will über den bedeutendsten politischen Akt in der europäischen Geschichte befinden. Nicht mal den Mindestanforderungen des Grundgesetzes an das Bild des unabhängigen Abgeordneten können diese Parlamentsbürokraten entsprechen. Das sind nur Dienstboten einer ganz kleinen Zahl von Spitzenparteibuchkarrieristen (betrifft sicher nicht alle Abgeordneten, aber zu viele), existenziell abhängig von ihrem Listenplatz, ohne den ihr Mandat und damit ihre persönliche wirtschaftliche Sicherheit in Frage gestellt wird.
Da vertraue ich bei sensiblen politischen Fragen und weitreichenden Grundsatzentscheidungen lieber dem Volk selbst. Der Volkssouverän ist der Hausherr, wenn die Menschen lernen, mit dieser Verantwortung umzugehen, dann werden die Ergebnisse wichtiger Volksabstimmungen klüger sein als das Endergebnis von Kungelei und Hütchenspielerei einer Handvoll Berufspolitiker, die der demokratischen Grundsubstanz der rein repräsentativen Demokratie - eben dem vorbezeichneten unabhängigen Abgeordneten - längst den Garaus gemacht haben.
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ein weiterer Beitrag, in blau das Zitat aus einem Text eines anderen Teilnehmers:
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texthej,
volksentscheide finde ich prinzipiell gut, aber es muss regelungen geben, die missbrauch ausschließen. z.b. sollte es eine hohe mindestteilnahme geben, die voraussetzung für die gültigkeit ist und die darf nicht zu gering sein. sonst können organisierte minderheiten das bild verfälschen. wenn z.b. die mehrheit der wahlberechtigten an einem volksentscheid nicht teilnimmt, so heißt das ja eigentlich auch, dass die mehrheit nicht "(volks)entscheiden", sondern die sache den parlamentariern überlassen will.
und diese "entscheidung" der mehrheit (nicht entscheiden zu wollen), muss man auch akzeptieren. aber grundsätzlich sollte es die möglichkeit zu volksentscheiden geben.
gruß!
Wie bipmap schrieb, die ernsthaften Vertreter der direkten Demokratie haben die "Risiken und Nebenwirkungen" in ihren Modellen berücksichtigt. Dabei geht es meist um hohe Hürden hinsichtlich der Zahl der vorzulegenden Unterschriften und um verfassungsrechtliche Vorprüfungen des Abstimmungsziels. Das darf ja ebensowenig die Grundrechte Einzelner und die von Minderheiten verletzen wie ein Parlamentsgesetz.
Ich möchte auch nicht, dass sich die Springerpresse mit politischen Kampagnen in Richtung eines Volksentscheides nach ihren Wünschen in die Bundespolitik einmischt. Deshalb wäre mir ein neues, ganz auf die Bundesrepublik zugeschnittenes Modell lieber als die Übernahme der direkten Demokratie nach Schweizer Art. Die Schweizer haben die längste Tradition der Welt im Umgang auch mit den Risiken der direkten Demokratie und sind ein kleines Land, das keine Weltkrise auslösen kann, eine einzige kollektive Schnapsidee der Deutschen könnte unabsehbare Folgen für die ganze Welt haben.
Am liebsten wäre es mir, ein vom Volk direkt gewählter Bundespräsident würde die Aufgabe eines Sachwalters eines plebiszitären Elements vom Grundgesetz zugewiesen bekommen. Er wäre dann der Adressat für die Vorlage der Unterschriftensammlung und hätte das Ziel der Volksabstimmung dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung auf Vereinbarkeit mit dem Grundrechtskatalog und völkerrechtlichen Pflichten der Bundesrepublik vorzulegen. Wenn diese Prüfung keine Mängel ergibt, sollte dann auch noch der Bundestag die Möglichkeit bekommen, die Volksabstimmung mit einer sehr grossen Mehrheit abzulehnen, mindestens 4/5 der Stimmen. So könnte man dem letzten kleinen Risiko, dass Gefahren in geheimzuhaltenden Bereichen auch noch berücksichtigt werden, entsprechen. Das müsste dann natürlich dem Bundespräsidenten gegenüber gerechtfertigt werden. Falls er die Einschätzung der Regierung und der Parlamentarier hinsichtlich der geheimen Gesichtspunkte nicht teilt, müsste dann noch einmal das BVerfG abschliessend entscheiden.
So könnten alle Chancen der direkten Demokratie genutzt und gleichzeitig alle Gefahren abgewendet werden. Vielleicht kapieren das irgendwann auch noch die notorischen Blockierer der Union, falls sie über die Frage der direkten Demokratie überhaupt je ernsthaft nachgedacht haben.
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und weiter......
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Einer Aufsichts- und Kontrollfunktion durch den Bundespräsidenten stimme ich überzeugend zu.
Einem Ablehnungsrecht des Bundestages lehne ich aber ganauso vehement ab.
Dieses Ablehnungsrecht dürfte ausschließlich das Verfassungsgericht haben.
Wenn man eine Volksabstimmung durchführt,
muß man bei "Verfassungsmäßigkeit" dieses Abstimmung akzeptieren und umsetzen.
Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben:
Das Volk lehnt in einem Referendum das "Selbstbestimmungsrecht" des Bundestages über Diätenregelungen oder Parteienfinanzierung ab. Der Bundestag lehnt wiederum diese Entscheidung des Volkes mit 100 % ab.
Pervers würde ich so etwas nennen.
Einzige Meßlatte von Ablehnungen konkreter Volksabstimmungen kann nur die Verfassung sein.
Solche Entscheidungen meinte ich nicht, ich habe ja auf das Restrisiko von geheimgehaltenen - etwa aussenpolitischen - Gesichtspunkten verwiesen, das zunächst nur der Bundestag und die Regierung gewichten können. Nur dann sollte der Bundestag noch einmal in das Verfahren einbezogen werden. Wenn die Gründe für eine Ablehnung den BP nicht überzeugen, soll das BVerfG ja auch noch die letzte Entscheidung haben.
Übrigens hätte das Ganze auch den Vorteil, dass ein direkt gewählter Bundespräsident auch ohne Unterschriftensammlung das Recht bekommen könnte, mit Zustimmung des BVerfG Volksabstimmungen anzuberaumen, wenn nach seinen Erkenntnissen die Repräsentanten pflichtwidrig handeln, das natürlich nur unter engen im Grundgesetz geregelten Vorgaben. Dabei denke ich z. B. an gebrochene Wahlversprechen oder die Vernachlässigung vordringlichster Staatsaufgaben, die dem Gemeinwesen einen irreparablen Schaden zuzufügen droht.